Die Erde ist keine statische Scheibe. Sie dreht sich als Rotationsellipsoid um sich selbst und zugleich um die Sonne. Eh klar. Entschuldigung, aber wie sollte man das leugnen, wo es doch eh logisch ist und schon jedes Volksschulkind darüber Bescheid weiß.
Merkwürdig, dass diese Erkenntnis bei vielen von uns dennoch nicht in den Alltag übernommen wird. Obwohl sie uns allen so selbstverständlich erscheint. Weshalb stehen wir dennoch vor allem einschneidenden Ereignissen und tiefen Emotionen in unserem Leben oft mit der Überzeugung gegenüber, diese seien statisch und für alle Zeit festgemacht? Bestimmt nicht auch unser aller Leben die Bewegung, der Fluss? Dreht nicht auch für uns die Welt sich immer weiter und bringt neue Momente, neue Chancen und auch Herausforderungen?
Besonders anschaulich sind hier Beispiele aus Partnerschaften. Menschen lernen sich kennen und schweben in der Phase, in welcher sie beschließen, eine Partnerschaft einzugehen, meist auf Wolke 7. Dieses Gefühl des Glücks und der Verbundenheit wird dann gleichsam konserviert: in Zukunftsplänen wird davon ausgegangen, es bleibe alles so, ganz ohne Zutun – ja es wird sogar jede Änderung als Gefahrenpotenzial eingestuft und – meist unbewusst – ausgeblendet. Das kann lange Zeit gut gehen. Die beiden können tatsächlich richtig liegen, dass sich ihre Welt in diesem Punkt nicht verändert, dass sie gleichsam stehen bleiben oder auch sich im Einklang weiterentwickeln. Die Wahrscheinlichkeit dazu ist aber eher als Frage des Zufalls einzustufen. Eher ist es nämlich wahrscheinlich, dass die beiden Menschen sich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und auch in ab und an unterschiedliche Richtungen weiterentwickeln – was auch eher der Natur des Menschen entspricht: immerhin sind wir alle einzigartig, mit einzigartigen Talenten und ganz individuellen Träumen.
So kommen viele über kurz oder lang an einem Punkt an, wo es nicht mehr zu übersehen ist, dass auch die Beziehung nicht als statisch und selbstverständlich gesehen werden darf. Jener Punkt, an dem auch alle Kraftanstrengungen nicht mehr reichen, alle eingetretenen Veränderungen auszublenden, die darauf hindeuten: der Zauber des ersten Aufeinandertreffens war eine Momentaufnahme, die kostbar war und bleibt. Die daraus erwachsene Beziehung war aber kein Einfrieren des Moments, kein Anhalten der Welt – auch wenn man es sich vielleicht noch so sehr gewünscht und vielleicht auch eingeredet hat – sondern vielmehr das Versprechen, nicht nur seinem eigenen Weg treu zu bleiben und sich weiterzuentwickeln, sondern auch an der Beziehung zu arbeiten wie mit einem jungen Bäumchen, auf dass es über den steten Wandel der Jahreszeiten heranwachsen kann zu einem stolzen Baum, welcher Schatten spenden und Früchte anbieten kann. Man ist also an dem Punkt wo man sich eingestehen muss: die Welt hat sich seit dem ersten Funken der Liebe, der ein Feuer entfacht hat, auch für einen selbst wie auch das Gegenüber weitergedreht. Auch wenn man diese Entwicklung übersehen beziehungsweise erfolgreich ausgeblendet hat aus der Wahrnehmung: man steht im hier und jetzt an einem anderen Punkt, hat Entwicklungen durchlaufen.
Besonders schlimm – und dabei auch meist der Fall – ist es dabei, wenn eine Seite das früher realisiert als die andere und keinen Weg findet, darauf so hinzuweisen, dass es annehmbar ist: das sind dann oft die Momente, wo es unschön wird in der Partnerschaft. Und wo ein neuerliches Festfrieren eines Momentes verlockend erscheint: ein Verurteilen des ehemals in Liebe verbundenen Partners als schädlich für das eigene Glück – die Nahrung für viele Rosenkriege, welchen auch mit den für Außenstehende noch so tollen versöhnlichen Handlungen ohne Hilfe von außen kaum beizukommen ist. Denn wieder wird die Realität zu Gunsten des eingefrorenen Gefühles ausgeblendet, wieder wird entgegen den Gesetzen der Natur die Welt in der eigenen Realität angehalten. Besonders Kinder geschiedener Eltern wissen davon ein trauriges Lied zu singen, dass selbst drohende Kollateralschäden hier nur selten die Augen öffnen helfen.
An diesem Punkt angelangt findet also eine Entscheidung statt, welche von beiden zu treffen ist: wird weiter versucht, zu leugnen, dass die Welt sich dreht und mit ihr sich alles im Fluss ewiger Weiterentwicklung befindet, wird auf einer neuen statischen Gefühlswelt aufbauend das Gegenteil der ehemaligen Liebe zum Lebensmotto erhoben oder wird den Tatsachen ins Gesicht geschaut und begonnen, auch die Beziehung weiterzuentwickeln und die bereits entstandenen Risse gemeinsam zu reparieren?
Ich wünsche mir für unsere Welt, dass es uns besser gelingt, Veränderung und Entwicklung anzunehmen und als Chance zu nutzen. So können wir viel unendliches Leid verhindern: Scheidungswaisen, welche auf einen Elternteil verzichten müssen, Gewalt in Beziehungen, weil die Realität wieder zurückgeprügelt werden soll in einen alten Zustand, …. und auch viel eigene Enttäuschung. Lernen wir, dass auch unsere kleine Welt keine still verharrende Scheibe ist – nehmen wir die Herausforderung der Bewegung als Chance wahr, aus Beziehungen jene Bäume wachsen zu lassen, welche, ständige Pflege vorausgesetzt, uns auch mal jenen Schatten und jene Früchte schenken können, welche wir uns so sehr wünschen.